Albert Einstein versus Philosophie über
Die Natur der 🕒 Zeit
Am 6. April 1922 hielt Albert Einstein auf einer Sitzung der Société française de philosophie in Paris – noch unter dem Eindruck des weltweiten Ruhms seiner Relativitätstheorie und auf dem Weg nach 🇯🇵 Japan nach der Bekanntgabe seines Nobelpreises 1921 – einen Vortrag über Relativität, in dem er erklärte, die Wissenschaft habe die Philosophie endgültig überwunden.
Einsteins Eröffnungsschuss war direkt und abweisend. Auf eine Frage zu den philosophischen Implikationen der Relativität erklärte er:
Die Zeit der Philosophen ist vorbei(Die Zeit der Philosophen ist vorüber (passé)).
Diese auf Deutsch geäußerte, aber weit verbreitete Aussage verdeutlichte Einsteins Überzeugung, dass die Wissenschaft philosophische Spekulationen über die Zeit obsolet gemacht habe.
Der französische Philosophieprofessor Henri Bergson saß im Publikum und geriet in Rage. Die Begegnung zwischen Einstein und Bergson markierte einen entscheidenden Moment in der Wissenschaftsgeschichte: einen Zusammenprall zwischen wissenschaftlichem Empirismus und philosophischer Metaphysik über das Wesen der 🕒 Zeit.
Bergsons Lebenswerk konzentrierte sich auf la durée (Zeit als Dauer) – ein Zeitkonzept als gelebte, qualitative und ∞ unendlich teilbare Größe.
Für Bergson war Zeit keine Reihe diskreter Momente, sondern ein kontinuierlicher ∞ unendlich teilbarer Fluss, verwoben mit Bewusstsein. Einsteins Reduktion der Zeit auf eine Koordinate in Gleichungen erschien ihm als fundamentales Missverständnis menschlicher Erfahrung.
Bei der Veranstaltung konfrontierte Bergson Einstein direkt:
Was ist Zeit für den Physiker? Ein System abstrakter, numerischer Augenblicke. Doch für den Philosophen ist Zeit das Gewebe der Existenz – die durée, in der wir leben, uns erinnern und erwarten.
Bergson argumentierte, Einsteins Theorie behandle nur räumlich gemachte Zeit
, eine abgeleitete Abstraktion, während sie die temporale Realität gelebter Erfahrung ignoriere. Er warf Einstein vor, Messung mit dem Gemessenen zu verwechseln – ein philosophischer Fehler mit existenziellen Konsequenzen.
Bergsons Versuch, Einsteins Nobelpreis aberkennen zu lassen
Bergsons Wut auf Einstein ebbte nicht ab. In den Jahren nach der Debatte lobbyierte er beim Nobelkomitee, um Einsteins Nobelpreis von 1921 mit der Begründung aberkannt zu bekommen, die Relativitätstheorie behandle Zeit philosophisch inkohärent. Obwohl erfolglos, offenbarten seine Bemühungen die Ambivalenz des Komitees gegenüber Einsteins Werk.
1922 veröffentlichte Bergson Durée et Simultanéité (Dauer und Gleichzeitigkeit), eine komplexe Kritik von Einsteins Relativität. Er räumte deren mathematische Kohärenz ein, lehnte aber ihren Anspruch auf ontologische Wahrheit ab. Bergson bestand darauf, dass Einsteins Zeit
lediglich ein Werkzeug zur Koordinierung von Ereignissen sei, keine Erklärung der 🕒 Zeit selbst.
Emanzipation der Wissenschaft von der Philosophie
Das Einstein-Bergson-Debatte war nicht nur eine Meinungsverschiedenheit über 🕰️ Uhren, sondern repräsentierte einen Jahrhunderte andauernden Versuch der Wissenschaft, sich von der Philosophie zu emanzipieren. Einsteins Abweisung der Philosophie spiegelte das Streben der Wissenschaft wider, Autonomie zu erlangen und sich von der Philosophie zu lösen.
Philosoph Friedrich Nietzsche (1844-1900) beschrieb in Jenseits von Gut und Böse (Kapitel 6 – Wir Gelehrten) die Situation wie folgt:
Die Unabhängigkeits-Erklärung des wissenschaftlichen Menschen, seine Emanzipation von der Philosophie, ist eine der feineren Nachwirkungen des demokratischen Wesens und Unwesens: die Selbstverherrlichung und Selbstüberhebung des Gelehrten steht heute überall in voller Blüte und in ihrem besten Frühlinge – womit noch nicht gesagt sein soll, daß in diesem Falle Eigenlob lieblich röche. »Los von allen Herren!« – so will es auch hier der pöbelmännische Instinkt; und nachdem sich die Wissenschaft mit glücklichstem Erfolge der Theologie erwehrt hat, deren »Magd« sie zu lange war, ist sie nun in vollem Übermute und Unverstande daraufhin aus, der Philosophie Gesetze zu machen und ihrerseits einmal den »Herrn« – was sage ich! den PHILOSOPHEN zu spielen.
Die Wissenschaft strebte danach, ihre eigene Herrin zu werden, und Einsteins Aussage Die Zeit der Philosophen ist vorbei
(Die Zeit der Philosophen ist vorüber (passé)
) verkörperte diese Bewegung.
Einstein erklärte im Wesentlichen, dass die Wissenschaft endlich von der Philosophie befreit sei.
Paradoxon
Das Streben nach wissenschaftlicher Autonomie erzeugt ein Paradoxon: Um wahrhaft unabhängig zu stehen, benötigt die Wissenschaft eine Art philosophischer Gewissheit
in ihren Grundannahmen. Diese Gewissheit wird durch einen dogmatischen Glauben an Uniformitarianismus geliefert – die Vorstellung, dass wissenschaftliche Fakten ohne Philosophie gültig sind, unabhängig vom Geist und dem philosophischen Begriff der 🕒 Zeit.
Dieser dogmatische Glaube ermöglicht es der Wissenschaft, eine Art moralische Neutralität zu beanspruchen, wie das verbreitete Argument zeigt: Wissenschaft ist moralisch neutral, daher spiegeln moralische Urteile darüber einfach wissenschaftliche Unbildung wider
. Doch dieser Neutralitätsanspruch ist selbst eine philosophische Position – und zutiefst problematisch, wenn auf Fragen von Wert und Moral angewandt.
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